Achtung Schuldenfalle 2.0: Soziale Schulden!

Viele Unternehmen haben in der Pandemie soziale Schulden aufgebaut. Was auf den ersten Blick etwas seltsam klingt, ist bei genauerer Betrachtung ein heikles Thema für viele Unternehmen – unser eigenes eingeschlossen.

 

Was meinen wir mit „sozialen Schulden“? Wir verwenden den Begriff analog zum Begriff der „technischen Schulden“, den Sie vielleicht aus der IT kennen. Technische Schulden oder Technische Schuld (englisch technical debt) ist eine in der Informatik gebräuchliche Metapher für die Konsequenzen unterlassener Investitionen in technische Lösungen. Dies bezieht sich zum Beispiel auf das wiederholte Auslassen einer neuen Softwareversion. Setzt man damit zu häufig aus, kann der Aufwand schlussendlich größer sein als die kurzfristigen Ersparnisse. Gleiches gilt z.B. bei fehlender Datenpflege, mangelnder Wartung von Schnittstellen, ungenügend qualitätsgesicherter Software etc. Kurzfristig fallen die Konsequenzen kaum ins Gewicht. Aber langfristig muss man den Preis hierfür zahlen – mitunter sogar mit happigen Zinsen!

 

Analog hierzu meinen „soziale Schulden“ den zusätzlichen Aufwand, den ein Unternehmen für fehlende oder mangelnde Investitionen in das soziale System Organisation langfristig tragen muss. Oder einfach gesprochen die zusätzlichen Kosten für das Hinnehmen eines schlechten Miteinanders in einem Unternehmen.

 

Ein Beispiel aus unserem Kundenkreis

Bei einem unserer Kunden arbeiten während der Pandemie alle Beschäftigten für zwei Jahre im Homeoffice. In dieser Zeit gab es mehrere Umstrukturierungen, Mitarbeitende haben gekündigt, neue sind dazu gekommen. Das ursprünglich sehr positive Miteinander hat im Laufe der Zeit immer stärker gelitten. Mittlerweile macht kaum jemand im Webmeeting seine Kamera an und auch die meisten Mikros bleiben stumm. Der Moderator wird zum Alleinunterhalter. Es gibt zwar unzählige gemeinsame Termine, doch die Ergebnisse daraus sind oft dürftig. Trotz der vielen organisatorischen Veränderungen gab es in den letzten zwei Jahren kaum Maßnahmen, um das soziale Miteinander zu stärken. Diejenigen, die es gab, reichten nicht aus, um das tolle Teamgefühl der Vor-Pandemiezeit zu erhalten. Die sozialen Schulden, die hier aufgelaufen sind, sind immens.

 

Wie entstehen soziale Schulden?

Sicherlich hat der Zwang zur Remote-Arbeit einen gehörigen Beitrag zu den sozialen Schulden in Unternehmen geleistet. Denn wer kennt es nicht, dass einen bei Onlinemeetings die Vermutung beschleicht, dass andere sich gerade Tagträumen hingeben, am Handy spielen, die Hausaufgaben ihrer Kinder erledigen oder ganz andere Dinge bearbeiten? Aber soziale Schulden haben vielfältige Quellen.

 

So entstehen bereits soziale Schulden, wenn in einem Unternehmen nicht ausreichend in den Aufbau von persönlichen Beziehungen investiert wird. Wo vertrauensvolle Zusammenarbeit gefordert ist, müssen sich die Beteiligten als Menschen mit verschiedenen Facetten wahrnehmen können und selbstverständlich die Stärken der anderen kennen. Sie sollten sich aber auch gut genug kennen und ausreichend wertschätzen, um Schwächen des jeweils anderen zu akzeptieren. Ohne zu reflektieren, welches die akzeptierten Schwächen der Kollegen sind, droht andauernder Ärger – keine gute Basis für eine professionelle Zusammenarbeit. Diese Zusammenhänge sollte man sich und anderen immer wieder vergegenwärtigen sowie Rahmenbedingungen und Gelegenheiten schaffen, in denen gegenseitiges Wohlwollen aufgebaut werden kann.

 

Auch ist es wichtig, in Formate und Gelegenheiten zur Entwicklung von Empathie und dem frühzeitigen Erkennen von Spannungen, Belastungen, Hindernissen und Problemen bei anderen zu investieren. Dies umfasst z.B. die Gestaltung von Meetings. Sie können sich Zeit für Check-ins und Check-outs nehmen, hierbei auch das aktuelle Befinden aller thematisieren und so Zeit und Raum für den Austausch jenseits der reinen Fachlichkeit schaffen. Dies leisten auch gemeinsame Retrospektiven – wie haben wir zusammengearbeitet, was war gut, was nicht, wie verbessern wir unsere Zusammenarbeit, auch auf der sozialen Ebene? So werden auch die Grundlagen für ein möglichst schuldenfreies soziales Umfeld gestärkt: gut gestaltete Prozesse zur gemeinsamen Planung, Priorisierung, Auflösung von Konflikten sowie dem Alignment von Abläufen und Aufgaben sind ein starkes Fundament für die Vermeidung sozialer Schulden.

 

Hierbei sollten wir nicht vergessen, dass vieles, was die Beziehungsbasis stärkt, üblicherweise „nebenbei“ vor Ort abläuft: Beim gemeinsamen Mittagessen, während der Kaffeepause oder während des Gesprächs auf dem Flur. All diese kleinen Gelegenheiten können die persönliche Beziehungsbasis stärken, entfallen in Remotearbeit aber weitgehend und müssen entsprechend ersetzt werden. Sonst wirkt sich das negativ auf die Zusammenarbeit aus.

 

Soziale SchuldenEin Effekt, der noch verstärkt wird, wenn wir nicht in die Auflösung von z.B. missglückter Kommunikation investieren. Wir wissen alle, dass gutgemeinte Kommunikation oftmals nicht als solche ankommt. Sei es, dass die Botschaft wegen fehlendem Kontextwissen nicht verstanden wird, sich einzelne unfair behandelt oder nicht ausreichend gesehen fühlen. Oder es einen belastenden, konfliktären Austausch gab. Oder Körpersprache, Mimik und Gestik Ablehnung signalisiert haben, egal ob gewollt oder unbeabsichtigt. All dies kann großen Ärger und andere negative Emotionen auslösen, die nicht nur zu Lasten der Gesundheit der Beteiligten gehen. Sie sind zudem schlimme Zeitfresser, erhöhen mit dem Stressniveau auch die Fehlerquote und schmälern schlussendlich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Entsprechend müssen wir zur Vermeidung unmittelbarer negativer Effekte und zur Vermeidung von mittel- und langfristigen sozialen Schulden in die Nachbesprechung Ärger verursachender Gespräche, Prozesse, Missverständnisse und weiterer missglückter Kommunikation investieren. Wir müssen in gemeinsame Fehlerbehebung und gemeinsames Lernen investieren. Sonst werden Konflikte nur scheinbar aufgelöst und echtes Verständnis füreinander, Vertrauen sowie Wohlwollen anderen gegenüber leiden.

 

Wie wir sehen, verursachen mangelndes Bewusstsein der Relevanz der Beziehungsebene, ungünstig gestaltete Planungs- und Arbeitsprozesse, unterlassene und missglückte Kommunikation sowie fehlende oder schlecht gestaltete Formate des Austauschs soziale Schulden. Aber welche Konsequenzen ergeben sich hieraus letztlich?

 

Die Konsequenzen aus diesen Effekten und den so entstehenden hohen sozialen Schulden, sind beträchtlich:

  • Schlechtes Arbeitsklima ist zweithäufigster Grund für Kündigungen
  • Hoher Krankheitsstand: Unzufriedene Mitarbeitende sind häufiger krank
  • Weniger Leistung: Unmotivierte Menschen leisten weniger auf der Arbeit als motivierte Menschen
  • Remote-Work als default: So mancher Arbeitnehmende will nach der Pandemie gar nicht mehr ins Büro kommen – hier können sich Widerstände aufbauen
  • Silodenken wird gefördert: Man fühlt sich dem kleinen Team, mit dem man am engsten zusammenarbeitet verpflichtet, der Goodwill für andere Abteilungen fällt remote noch schwerer
  • Eigeninteresse: Versteht sich jemand nicht als Teil eines Teams, sondern eher als Einzelkämpfer, fällt der Fokus oft auf die Maximierung des eigenen Vorteils – mit negativen Auswirkungen auf das gesamte System
  • Veränderungen stoßen eher auf Widerstand bei unzufriedenen Mitarbeitenden: Widerstand wird Ausdruck der Unzufriedenheit mit ganz anderen Dingen als der Veränderung
  • Ideenlos: Man hat weniger Ideen in einem Umfeld, in dem man sich nicht wohl fühlt oder teilt die, die man hat, gar nicht mit

 

Und wie können wir diese sozialen Schulden wieder abbauen?

Wenn wir uns mit Kunden über das Thema unterhalten, kennen sie meist die oben beschriebenen Konsequenzen nur allzu gut. Mit einigen Maßnahmen haben die Unternehmen versucht, das soziale Miteinander zu erhalten. Es gab virtuelle Feiern, die Verpflichtung, Kamera und Mikrofon bei Meetings anzulassen, es gab Büro-Präsenztage und vieles andere. Dies alles gab es bei uns auch. Und doch: Als wir uns das erste Mal nach zwei Jahren zu einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant getroffen haben, wirkte das angenehme Gefühl dieses Zusammenseins noch drei Tage lang nach. Seit langer Zeit hatten wir nicht mehr solch eine positive Energie miteinander gefühlt. Es war einfach vollkommen anders, als wenn wir uns am Bildschirm sahen.

 

Acht Tipps, um jetzt aus der Schuldenfalle rauszukommen

      1. Entspannt euch: Trefft euch im Team face-to-face ohne Agenda – einfach zum Spaß, vielleicht zum Abendessen. Nichts kommt an ein physisches Treffen heran

      2. Plant Präsenztage in der Firma: Überlegt gemeinsam, was für das Team bzw. euer gemeinsames Ziel ein gutes Anwesenheitsmodell sein kann

      3. Schafft Transparenz: Sprecht über das Thema „Arbeitsklima“ in eurem Team, erkennt Schwachstellen und überlegt euch, wie ihr gemeinsam daran arbeiten könnt

      4. Sinnvolle Regeln: Gebt euch Regeln, wie zum Beispiel „remote sind Kamera und Mikro grundsätzlich an“ und achtet gemeinsam wirklich auf die Einhaltung dieser Regeln

      5. Alle sind mal dran: Lasst den Facilitator/Moderierenden eines Online-Meetings rollieren – hilft enorm dabei, Verständnis für diesen wichtigen Job zu entwickeln

      6. Mit gutem Beispiel voran: Wartet nicht, dass es jemand tut, sondern überlegt einfach mal, was ihr für euer Team tun könnt, um die Stimmung zu verbessern

      7. Bei Silodenken: Denkt darüber nach, mal einen Tag lang in einer anderen Abteilung zu hospitieren (je größer euer innerer Widerstand an dieser Stelle ist, desto stärker solltet ihr darüber nachdenken)

      8. Nichts ist in Stein gemeißelt: Wenn etwas nicht funktioniert, findet eine andere Lösung

 

Die Zukunft ist hybrid

Bis vor der Pandemie arbeiteten die meisten Arbeitnehmenden unserer Kunden im Unternehmens-Office. Während der Pandemie wechselten viele Menschen ins Homeoffice, teilweise zu 100%. Vieles war in dieser Phase „Learning by Doing“. Das war super vor dem Hintergrund, dass die Unternehmen weiterhin handlungsfähig waren. Doch es war eine Notlösung. Nur, weil wir remote zusammenarbeiten konnten, heißt das nicht, dass es auch sinnvoll ist, dies weiterhin so oft wie möglich zu tun. Unsere zukünftige Arbeitswelt wird hybrid sein: Wir arbeiten im Homeoffice, im Büro, von unterwegs, teilweise vielleicht sogar in unterschiedlichen Zeitzonen. Jetzt gilt es, Arbeitsmodelle zu entwickeln, die die Chancen aus beiden Arbeitswelten vereinen. Das sieht für jedes Unternehmen, für jedes Team ein wenig anders aus. Das Verständnis für und die Auseinandersetzung mit „sozialen Schulden“ ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.