Berlin Consulting-Teamstory (1)
Eine teamgeführte Beratung – warum teilt der Chef die Macht?

Foto Marco Olavarria beim ModerierenMit unserer BC-Teamstory-Serie möchten wir Sie inspirieren, althergebrachte Wege in der Zusammenarbeit zu hinterfragen und neuen Ideen Raum zu geben. Dazu laden wir Sie ein, uns auf unserer Reise als teamgeführtes Unternehmen zu begleiten. Lesen Sie von unserem Start, unseren Ideen, guten und weniger guten Erfahrungen, von unseren Tiefschlägen und Erfolgen. Und vor allem von dem, was wir auf unserem Weg gelernt haben.

 

Anfang 2018 gründete Marco Olavarria die teamgeführte Unternehmensberatung Berlin Consulting. Nachdem er fast 20 Jahre lang Chef in einer hierarchisch geführten Beratung war. Mit einem Teil seines alten Teams arbeitet er seitdem als Geschäftsführer und dennoch Gleicher unter Gleichen. Was brachte den 51-jährigen dazu, die Chefrolle aufzugeben?

 

Wie bist du auf die Idee gekommen, eine teamgeführte Beratung zu gründen?

Ich liebe es, Unternehmen zu beraten. Ich arbeite gern mit den verschiedensten Menschen und freue mich immer wieder auf die Herausforderungen eines neuen Projekts. Vor allem aber mag ich an dem Beruf das ständige Feedback. Nach jedem Workshop, nach jeder Präsentation erhalte ich Feedback von den Kunden. Das ist großartig. Positives Feedback erfüllt mich mit Freude und Energie und negatives Feedback eröffnet mir Chancen für persönliches Wachstum. Aber: Ich bin nicht der Meinung, dass ich ein besonders guter Chef bin, also war. Und in meiner Rolle als Chef habe ich viel zu wenig Feedback bekommen. Also brauchte ich eine Lösung, wie ich in meiner eigenen Beratung Berater sein kann, ohne die Chefrolle inne zu haben.

Als ich mich dann beim Schreiben meines Buchs „Orgazign – Organisationen lebenswert gestalten“ nochmals intensiver mit aktuellen Entwicklungen der Organisationslehre beschäftigt habe, fand ich die Ansätze der evolutionären und hierarchiefreien Organisation sehr inspirierend. Ich dachte mir: Genau, so willst du arbeiten! Alles ist transparent, keine unnötige Geheimniskrämerei. Alle sind ein Team und tun nicht nur so. Und jeder kann in jede Rolle gehen.

 

Wie hat das Team auf die Idee reagiert?

Mit Blick auf die Teamführung gab es zunächst viele Fragen, vor allem wie das genau funktionieren soll. Wir hatten zu dem Zeitpunkt alle schon lange Jahre zusammengearbeitet, und die bestehende Form der Zusammenarbeit steckte uns allen in den Knochen. So oszillierte das Team und wohl auch jeder Einzelne zwischen „Wow, das ist spannend!“ bis hin zu „Das kann nicht klappen!“ oder auch „Das meint der nicht wirklich ernst!“.

Wir haben dann gemeinsam verschiedene Wege beschritten und angeschaut, was wir mitnehmen und was wir zurücklassen möchten, welche Erwartungen wir an das neue Unternehmen und das Team haben und welche Werte wir bei Berlin Consulting leben möchten. Wichtig war, denke ich, dass wir die neue Form der Zusammenarbeit sofort ausprobiert haben. Und dass wir schnell erste konkrete Dinge, wie den künftigen Ablauf der Team-Meetings, erarbeitet haben. So haben sich die größten Bedenken schnell gelegt und wir haben die Diskussion eigentlich recht schnell auf die Frage verlagert, wie wir am Markt agieren sollten.

 

Wo lagen aus deiner Sicht die größten Stolpersteine?

Es gab und gibt vieles, was wir erst lernen mussten bzw. müssen. Zum Beispiel wurden unsere monatlichen Team-Meetings zu Beginn immer mal wieder von Einzelnen zugunsten von Kundenterminen abgesagt. Wir mussten daher Umdenken und lernen, die Team-Meetings als Geschäftsführungssitzung zu verstehen, ohne unsere starke Kundenorientierung zu verlassen. Auch haben wir neue Regeln und die verschiedenen für uns jetzt wichtigen Rollen definiert. Zum Beispiel nimmt bei uns jeder rollierend die Rolle des Facilitators für die Team-Meetings ein. Hier galt es, genau zu beschreiben, welches die Rechte und Pflichten dieser Rolle sind. Auch Dinge wie „Bis zu welchem Betrag darf ich Arbeitsmittel selbst beschaffen, ab wann frage ich das Team“? haben wir gemeinsam geregelt.

 

Aber was ich wirklich unterschätzt habe, sind die emotionalen Folgen der Rollenveränderung bei Gehaltsverhandlungen. Während wir früher so getan haben, als seien die Gehälter ein großes Geheimnis, sind diese nun offiziell transparent. Und wir haben vereinbart, dass jedes Teammitglied den Wunsch nach mehr Gehalt vorbringen kann. Die Entscheidung hierüber fällt dann das Team. Was ich lernen musste ist: Gehaltsgespräche zwischen Chef und Mitarbeiter wurden ganz selbstverständlich als Verhandlung angesehen und dass der Chef sich eher ein niedrigeres Gehalt wünscht, wurde als „natürlich“ bewertet. Ganz anders ist es, wenn man Gehaltswünsche auf Augenhöhe mit dem Team bespricht. Nach meiner Einschätzung unterscheiden sich die monetären Ergebnisse beider Verhandlungen kaum voneinander – da bei Berlin Consulting alle Mitarbeiter am Ergebnis beteiligt sind, werden nicht alle Gehaltswünsche ungeprüft durchgewunken. Die Verhandlung mit dem Team führt aber sehr viel stärker zu Verletzungen und Unzufriedenheit, wenn den Gehaltswünschen nicht entsprochen wird. Auch die Gehaltswünsche neuer Bewerber können zu Unmut bei Einzelnen führen. Das ist immer noch ein Schmerzpunkt und hier werden wir weiter experimentieren, um einen guten Weg zu finden.

 

Du warst mehr als 20 Jahre Chef einer traditionellen Beratung, fehlt dir das „Chefsein“?

Kein bisschen. Im Gegenteil. Ich wünschte mir, es würde noch schneller gehen, diese Rolle abzulegen. Wie gesagt, steckt uns noch die alte Form der Zusammenarbeit regelrecht in den Knochen – oder auch im Muskelgedächtnis. Wir alle verspüren manchmal alte Reflexe, uns so zu verhalten, wie früher. Heute freue ich mich darüber, wenn meine Kollegen noch stärker in die Verantwortung gehen, wir gemeinsam unternehmerische Zusammenhänge diskutieren und uns als Team weiterentwickeln.

 

Nach anderthalb Jahren Berlin Consulting: Was gefällt dir am besten?

Die Lernkurve und die Transparenz. Ich habe sehr viel gelernt auf dem bisherigen Weg und kann diese Erfahrungen an unsere Kunden weitergeben. Das macht mich hoffentlich zu einem besseren Berater. Und aufgrund der Transparenz über alle Zahlen kann ich mich mit jedem Kollegen über alle Aspekte des Geschäfts austauschen. Meine Rolle hat sich in vielen Aspekten verändert und ich fühle mich im Team viel besser aufgehoben als früher.

 

Und worauf könntest du verzichten?

Auf diese Frage! (lacht)

 

Kannst du anderen Unternehmen, die diesen Schritt gehen wollen, einen Tipp geben?

Derjenige, der Macht und Entscheidungskompetenzen abgibt, muss dies konsequent tun. Man muss es daher wirklich, wirklich wollen. Wenn man nicht das Gefühl hat, das einem signalisiert: Ja, das ist spannend, das will ich! – dann ist es wahrscheinlich noch nicht so weit. Und wenn man noch nicht so weit ist, wird man die neue Rolle wahrscheinlich nicht mit der notwendigen Konsequenz ausfüllen und in alte Rollenmuster zurückfallen. Das Team wird dann aber Dinge denken wie: „Wusst ich´s doch, ich soll gar nicht selbst entscheiden!“ Oder: „Der Chef entscheidet weiter, was soll ich da in die Verantwortung gehen?!“

 

Das würde der Teamentwicklung massiv im Weg stehen, denn das Team muss sich vergegenwärtigen: Wir sind jetzt alle zusammen die Geschäftsführung, das Management dieses Unternehmens. Dann gilt es, gemeinsam daran zu arbeiten, die Dinge als Team anzugehen und die notwendige Geduld aufzubringen, um gemeinsam Fehler zu machen, daraus zu lernen und Schritt-für-Schritt besser zu werden. Ich kann nur sagen: Die Reise kann sich lohnen!

 

Lesen Sie in der nächsten Folge, wie Sabrina Buschow die neue Teamführung empfindet.



2. Teil: Der Weg zur Teamführung aus Sicht einer Mitarbeitenden 3. Teil: Erste Schritte als teamgeführtes Unternehmen 4. Teil: Endlich gute Meetings! Übersichtsseite Berlin Consulting Teamstory