Die Arbeit lieben – warum eigentlich nicht?

Hände formen HerzKennen Sie die stärksten Indikatoren für Mitarbeiterbindung, Performance, Engagement und Resilienz von Mitarbeitenden? Dies sind: Die Möglichkeit, das zu tun, was ich gut kann und was ich liebe, die Begeisterung, mit der ich zur Arbeit gehe und die Möglichkeit, die eigenen Stärken beständig einsetzen zu können. Diese Faktoren sind wichtiger als das Gehalt, wie sehr man seine Kollegen und Kolleginnen mag, der Arbeitsplatz oder gar ein starker Glaube an die Mission, den Sinn der Organisation¹. Das sollte einen nicht verwundern, denn was nutzt der tollste „Purpose“, wenn die Prozesse gruselig sind, mein Einsatz wirkungslos ist und ich Dinge tue, die ich weder besonders gut beherrsche noch sonderlich mag?

 

Wenig überraschend gibt es hierfür neurologische Erklärungen – Oxytocin, Dopamin, Anandamide und andere Stoffe. Ich kenne diese Stoffe nicht und die vielen Zusammenhänge schon gleich gar nicht. Aber ich brauche diesen Erklärungsansatz auch nicht, denn ich erlebe es bei mir selbst: Aktivitäten, die ich gern ausübe, machen mich glücklich. Zurück zur Wissenschaft: Diese sagt, dass wir in diesem Zustand unseren Blick weiten, neue Gedanken und Gefühle stärker akzeptieren, Details lebhafter erinnern, optimistischer, loyaler und offener sind.

 

Die simple Schlussfolgerung ist, dass wir Organisationen und Rollen so designen sollten, dass die Menschen ihre Tätigkeiten lieben. Das klingt zunächst utopisch, wie soll das gehen? Aber halt! Es gibt Hinweise, dass die Schwelle dies zu erreichen nicht sehr hoch ist. Wir müssen nicht alle Aspekte unserer Arbeit lieben oder mögen. So sind Menschen, die 20 Prozent ihrer Tätigkeiten auf der Arbeit wirklich gern ausüben, deutlich resilienter gegen physische und psychologische Probleme als Menschen, die sich unterhalb dieser Schwelle bewegen. Eine weitere Steigerung dieses Anteils hat übrigens nur noch einen geringen Effekt auf die Resilienz.

 

Und einen Fehler dürfen wir nicht machen: Bloß, weil wir etwas nicht lieben, heißt das nicht, dass dieses Etwas nicht liebenswürdig ist. Andere Menschen können sehr wohl Freude – oder gar Liebe – finden an Tätigkeiten, die wir verabscheuen. Führen Sie sich doch beispielsweise einfach mal einen Politiker oder eine Politikerin vor Augen, den oder die Sie so gar nicht abkönnen – und schauen Sie, ob diese Person liiert ist, also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch geliebt wird (oder zumindest wurde)…

 

Wie können wir also vorgehen, um diese Erkenntnisse gewinnbringend in das Design unserer Organisationen einzubringen?

  • Verstehen wir befähigte Teams als zentrales Prinzip unseres Organisationsdesigns: Teams brauchen Spielräume, damit die Teammitglieder ihre Tätigkeiten untereinander ausverhandeln können. So können die einzelnen Teams eine Aufstellung finden, die den Anteil der geliebten Tätigkeiten über alle Teammitglieder maximiert und fortlaufend an die sich ändernden Erfordernisse anpasst. So kann stärker auf die individuellen Stärken und Vorlieben eingegangen werden als bei einem Teamzuschnitt mit der Schablone oder der Zuweisung von Tätigkeiten durch Vorgesetzte. Und das Team kann die soziale Kontrolle ausüben, damit Einzelne nicht ihre Selbstverwirklichung über die Teamzufriedenheit und  -leistung stellen.

 

  • Achten wir bei der Passung von Person und Rolle nicht nur auf die Fähigkeiten, sondern auch auf die Leidenschaften des einzelnen Menschen: Es gibt fast immer verschiedene Wege zum Ziel, weswegen das Kompetenzprofil eines Menschen nicht zwingend der beste Indikator für eine Passung „Mensch zu Rolle“ ist. Und auch nicht der einzige Indikator sein sollte. Indem wir Eigeninteressen und persönliche Vorlieben besprechbar machen, haben wir die Chance, den Fit von Tätigkeiten und Vorlieben deutlich zu steigern. Und so die oben angeführten positiven Effekte der Liebe zur Arbeit wie Mitarbeiterbindung, Performance und Engagement zu erzielen.

 

  • Setzen wir auf die richtigen Management- und Koordinationsmethoden: Wir sollten jederzeit klar sein im angestrebten Ergebnis. Und das „Wie“ den Experten für die entsprechenden Tätigkeiten überlassen. So können diese ihre Stärken einsetzen und das Gefühl der Eigenwirksamkeit steigern.

 

Die Basis für all dies sind, na klar, eine stärkere Fokussierung auf den einzelnen Mitarbeitenden und Vertrauen. Um dies zu erreichen, sollten wir den Gedanken zulassen, dass Menschen ihre Arbeit tatsächlich lieben können. Und den Optimismus aufbringen, dass dies durchaus erreichbar ist, da wir bei Weitem nicht alle Aspekte unserer Arbeit lieben müssen – genau so, wie in unseren persönlichen Beziehungen (zum Glück, sonst müssten wir alle perfekt sein, um geliebt zu werden…).

 

Autor: Marco Olavarria

 

[1] Siehe Marcus Buckingham: Work + Love. How to Find What You Love, Love What You Do, and Do It for the Rest of Your Life. Harvard Business Review Press, 2022.