Kognitive Verzerrungen in Organisationen überwinden

Ein großer Hinderungsgrund guter Entscheidungen in Unternehmen sind kognitive Verzerrungen. Kognitive Verzerrungen beeinflussen systematisch unsere Wahrnehmung, unsere Erinnerung, unser Denken und unsere Bewertungen. Je stärker sie auf die Entscheidungsfindung einwirken, desto größer ist das Risiko von Fehleinschätzungen und in der Folge nicht zielführenden Entscheidungen. Für Organisationen ist das ein großes Problem.

Kognitive Verzerrung

Gestaltung von Entscheidungsprozessen zur Verringerung kognitiver Verzerrung

Da kognitive Verzerrungen, aber auch interne Machtspiele, den Umgang mit und die Interpretation von Fakten beeinflussen, können auch Analysen nicht für gute Entscheidungen sorgen. Daher ist die Gestaltung eines geeigneten Entscheidungsprozesses der Schlüssel für die Qualität von Entscheidungen in Organisationen. So kommen Lavallo & Sibony (2010) in einer empirischen Analyse zu dem Ergebnis, dass die bewusste Vermeidung von kognitiven Verzerrungen in Entscheidungsprozessen einen deutlich größeren Einfluss auf die Qualität der Entscheidungen hat als die Analyse. Exzellente Analysen haben nur dann einen Einfluss auf die Entscheidungsqualität, wenn sie im Entscheidungsprozess auch angemessen wahrgenommen werden.

 

Die Güte von Entscheidungen in einer Organisation kann mithin durch die Gestaltung geeigneter Entscheidungsprozesse beeinflusst werden. Dies ist auch der Grund, warum die bewusste Gestaltung von Entscheidungsprozessen bei unserer Methode Orgazign eine große Rolle spielt.

 

Im folgenden beschreiben wir fünf Arten kognitiver Verzerrungen (nach Lavallo  Sibony (2010) und liefern Ihnen jeweils Ansätze, diese zu entschärfen:

 

Fünf-Sterne 1. Verhaltensorientierte Verzerrungen führen dazu, dass wir Aktivitäten weniger reflektiert durchführen, als es zielführend wäre.

    • Übermäßiger Optimismus | Tendenz, die Ergebnisse geplanter Aktivitäten übermäßig optimistisch einzuschätzen, die Wahrscheinlichkeit positiver Ergebnisse zu über- und die negativer Ergebnisse zu unterschätzen.
    • Übermäßiges Selbstvertrauen | Tendenz, die eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu denen anderer zu überschätzen. Führt dazu, dass die eigenen Möglichkeiten, Ergebnisse zu beeinflussen zu hoch eingeschätzt werden. Und dazu, dass sich Menschen vergangene Erfolge selbst anrechnen und unterschätzen, welche Rolle dabei der Zufall gespielt hat.
    • Vernachlässigung der Wettbewerber | Tendenz zu planen, ohne Reaktionen der Wettbewerber zu berücksichtigen.

 

Und so überwinden Sie verhaltensorientierte Verzerrungen in Organisationen

  • Fördern Sie die Wahrnehmung von Unsicherheiten und Risiken bei allen Mitarbeitenden
  • Tauschen Sie sich aus über unterschiedliche Einschätzungen zu Erfolgswahrscheinlichkeiten
  • Hinterfragen Sie die geplanten Aktivitäten systematisch, indem Sie eine Rolle im Team vergeben, die hierfür zuständig ist

Zum Beispiel durch…

  • Trennung von Entscheidungsmeetings, in denen die Wahrnehmung von Unsicherheit und der Austausch über abweichende Meinungen gefördert werden, und Implementierungsmeetings, in denen eine gemeinsame Ausrichtung auf ein Ziel und ein Umsetzungsplan gefordert sind
  • Einsatz von Werkzeugen wie Szenario-Techniken, die die Berücksichtigung verschiedenster Ergebnisse erzwingen
  • den Einsatz von KI, um einen vollständigen Kriterienkatalog zu erstellen

 

2. Interessenbasierte Verzerrungen führen dazu, dass wir Entscheidungen stärker an Eigeninteressen und Emotionen ausrichten als am Gesamtoptimum.

    • Falsch ausgerichtete individuelle Anreize | Anreize, die zur Annahme von Sichtweisen oder zum Streben nach Ergebnissen führen, die für das Individuum oder das Team – nicht aber die Institution insgesamt – vorteilhaft sind.
    • Unangemessene Bindungen | Emotionale Bindung an Menschen oder Dinge wie Produkte oder Marken, die zu falsch gewichteten Interessen führen.
    • Fehlerhafte Wahrnehmung der Ziele der Organisation | Fehlende Übereinstimmung über die Relevanz der Ziele, die die Organisation verfolgt.

 

Und so überwinden Sie interessenbasierte Verzerrungen in Organisationen

  • Falsch ausgerichtete individuelle Anreize überwinden
  • Divergente Interessen in den Entscheidungsprozess einbringen
  • Eigene Interessen vor wichtigen Entscheidungen bewusst machen

Zum Beispiel durch…

  • Formulierung klarer Entscheidungskriterien
  • Benennung nicht relevanter Kriterien
  • Entscheidungsmeetings besetzen mit Menschen, die unterschiedliche Interessen haben
  • den offenen Austausch über eigene Interessen und sich die Verzerrungen darüber bewusst machen

 

Klatschende Menschen3. Soziale Verzerrungen entstehen aus dem starken Streben von Gruppenmitgliedern nach Harmonie.

    • Gruppendenken | Starkes Streben nach Konsens auf Kosten einer realistischen Bewertung von Alternativen.
    • Sonnenblumen-Management | Tendenz von Gruppen, sich der wahrgenommenen oder angenommenen Meinung der Führungskraft anzuschließen.

 

Und so überwinden Sie die soziale Verzerrung

  • Intensiver Austausch der Gruppenmitglieder im Entscheidungsprozess mit bewusstem Nachfragen nach deren Meinung und der Erfahrung
  • Vermeidung von vorauseilendem Gehorsam und eines zu starken Gruppendenkens

Zum Beispiel durch…

  • Förderung einer vertrauensvollen und sachlichen Diskussionskultur
  • Entwicklung von Teams, die einen intensiven Meinungsaustausch pflegen, ohne die persönlichen Beziehungen zu gefährden
  • das Fragen nach den Erfahrungen, auf denen die Entscheidung anderer beruht
  • systemische Fragetechniken, die einen Perspektivwechsel ermöglichen

 

4. Muster-Erkennungs-Verzerrungen bestehen, wenn wir Muster, die nicht vorhanden sind, zu erkennen glauben.

    • Bestätigungsverzerrung | Übergewichtung von „Beweisen“, die im Einklang mit den eigenen Überzeugungen stehen, Untergewichtung von „Beweisen“, die damit nicht im Einklang stehen oder fehlende unvoreingenommene Suche nach Beweisen.
    • Management durch Beispiel | Auf aktuellen oder besonders einprägsamen Beispielen basierende Generalisierung.
    • Falsche Analogien | Vergleiche mit Situationen, die nicht ausreichend vergleichbar sind.
    • Kraft von Geschichten | Tendenz, Sachverhalte, die im Rahmen kohärenter Geschichten dargestellt werden, stärker zu erinnern und diese für glaubwürdiger zu halten.
    • Meisterverzerrung | Tendenz, Sachverhalte, die durch einen Leistungsträger präsentiert werden, nicht auf Basis von Fakten, sondern auf Basis von der sie präsentierenden Person zu bewerten.

 

Und so überwinden Sie die Muster-Erkennungs-Verzerrung

  • Betrachtung von Annahmen und Fakten aus unterschiedlichen Perspektiven
  • Förderung der Selbstreflexion der an Entscheidungsprozessen Beteiligten
  • Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge explizit machen und diskutieren

Zum Beispiel durch…

  • Aufnahme neuer Perspektiven, zum Beispiel auf Basis von Beobachtungen vor Ort und Kundengesprächen
  • Offenlegung, auf welchen Erfahrungen die Einschätzungen der Beteiligten beruhen
  • Einsatz von Gedankenwerkzeugen, die einen Perspektivwechsel ermöglichen

 

Glied Ankerkette5. Stabilitätsverzerrungen führen zu Beharrungstendenzen in Situationen, die Veränderung erfordern.

    • Verankerung und unzureichende Anpassung | Eigene starke Bindung an einen Anker, wie zum Beispiel einen initialen Wert, die zu unzureichender Anpassung späterer Schätzungen führt.
    • Verlustaversion | Tendenz, Verluste stärker zu spüren als Zugewinne in gleicher Höhe – mit der Folge, risikoaverser zu handeln als eine rationale Kalkulation nahelegt.
    • Sunk-Cost-Trugschluss | Starker Fokus auf irreversible Kosten der Vergangenheit bei der Bewertung zukünftiger Aktivitäten.
    • Status-quo-Verzerrung | Präferenz für den Status quo bei fehlendem Veränderungsdruck.

 

Und so überwinden Sie die Stabilitätsverzerrung

  • Aufweichen eines zu starken Beharrungsvermögens, indem man sich die Ursachen hierfür bewusst macht
  • Ausgewogene Berücksichtigung von Risiken und Chancen

Zum Beispiel durch…

  • Setzen von Zielen, die mit einer Fortführung etablierter Vorgehensweisen nicht erreicht werden können
  • Förderung des Erkennens von Ankern und deren Wirkungsweisen auf Entscheidungsprozesse

 

Fazit

Die Herausbildung eines Bewusstseins, dass wir alle einer Vielzahl von kognitiven Verzerrungen unterliegen und das Wissen darum, wie diese aussehen, ist der initiale Schritt zu besseren Entscheidungen. Bereits in dem Moment, in dem wir es schaffen, uns einzugestehen, dass unsere Entscheidungsbildung nicht so rational erfolgt, wie wir es gern hätten, öffnen wir uns ein kleines Stück für andere Perspektiven, die uns zu neuen Schlüssen kommen lassen.

 

Der skeptische Blick auf das eigene Denken ist die eine Sache. Eine ganz andere ist es, diese Skepsis auch in einer Arbeitsgruppe zuzulassen. Hier haben viele Menschen in der Vergangenheit gelernt, so meinungsstark wie möglich aufzutreten. Und dies verträgt sich auf den ersten Blick so gar nicht mit dem Eingestehen von Skepsis in Bezug auf das eigene Denken oder das der Gruppe. Hier braucht es Vertrauen ins Team und zu sich selbst, Mut und ein Wissen um die Art und Weise, wie unser Geist funktioniert und was ihn reglementiert – wie zum Beispiel kognitive Verzerrungen. Erst dann können wir auch im Team bessere Entscheidungen treffen.

 

Titelseite Orgazign 2. Auflage, Dr. Marco OlavarriaDieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Orgazign- Organisationen lebenswert gestalten“. Mit der von Marco Olavarria entwickelten Methode lassen sich Teams, Bereiche oder ganze Unternehmen zukunftssicher und nachhaltig aufstellen. Die Methode gibt es als Buch oder direkt bei uns.

 

Quellenangaben:

Lavallo & Sibony (The case for behavioral strategy, McKinsey Quaterly, März 2010) und Orgazign – Organisationen lebenswert gestalten (2. Auflage, 2019)

 

 



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